Der Kollege Wolfgang Bachmann bringt in seiner Leserzuschrift in ach Nr. 30 vom November 2007 die Probleme des deutschen Fachzeitschriftenmarkts auf den Punkt:
»Es gibt bei uns immer weniger Architekten, die für eine der (zu vielen!) Architekturzeitschriften etwas bezahlen können oder wollen. Auch Anzeigen werden immer weniger. Die Industrie sucht andere Wege zu ihrer Zielgruppe, auch mit eigenen Zeitschriften, die ihre Kundenpflege und -gewinnung besser erfüllen als die etablierten Blätter. […] Der Markt schrumpft […] jährlich um fünf Prozent.«
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Warum sind deutsche Architekturfachzeitschriften so lausig? Ach, gerade kam wieder das Blättle, und wie immer habe ich es mit Neugier und etwas schlechtem Gewissen studiert. Es hat im wirtschaftlichen Sinn keine Marktlücke gefunden, aber eine Leerstelle entdeckt, die die Architekturfachzeitschriften frei gelassen haben. ach beweist: man kann nur mit Eigeninteresse im Arkadien eines Lehrstuhls, also ohne kommerzielle Ambition, ein Periodikum herausgeben, das eine Auseinandersetzung über die zeitgenössische Architektur führt. In der Hinsicht haben wir Verlagsangestellte nichts mehr zu melden. Früher oder später vom Chefredakteur zum Objektleiter ernannt, sind wir in allererster Linie für die messbaren Kategorien Umsatz und Rendite verantwortlich. Als freiwillige Sonderleistung (sofern sie dem höheren Ziel nicht im Weg steht) dürfen auch Bemerkungen zur Architektur verfasst werden, aber honoriert wird das nicht. Der den Betriebswirten einleuchtende Auftrag heißt: Lesernutzen bieten – nicht Kritik, Auseinandersetzung oder Lesefreude. Somit aus der Übung gekommen wird heute keiner von uns Chefredakteuren zu irgendeiner internationalen Architekturdiskussion eingeladen, keiner hat einen wichtigen Essay geschrieben, eine originelle These entwickelt oder gar ein Buch verfasst. Die Folge: deutsche Architekturfachzeitschriften sind inzwischen so bedeutend wie die österreichische Autoindustrie.
Die Krankheit zeigt folgenden Verlauf: Es gibt bei uns immer weniger Architekten, die für eine der (zu vielen!) Architekturzeitschriften etwas bezahlen können oder wollen. Auch Anzeigen werden immer weniger. Die Industrie sucht andere Wege zu ihrer Zielgruppe, auch mit eigenen Zeitschriften, die ihre Kundenpflege und -gewinnung besser erfüllen als die etablierten Blätter (was aber nicht ausschließt, dass deren Redaktionen »undercover« diese Firmenmagazine herstellen). Hier zeigt sich eine ähnliche Entwicklung wie bei der Baukultur: Neue städtische Passagen sind privatisiert, um unliebsames Volk entfernen zu können; Unternehmen wie BMW bauen eine eigene »Erlebniswelt«, um sich mit Kultur-, Unterhaltungs- und Informationsangeboten einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen – warum sollte es deshalb keine Architekturzeitschriften geben, die zum Beispiel ein Hersteller von Schleuderbetonrohren kostenlos verbreitet?
Der Markt schrumpft also, man sagt jährlich um fünf Prozent. Gleich welchem Verlag oder Geldanleger eine Zeitschrift gehört, man braucht keinen Unternehmensberater, um die Faustregel für eine langfristig gesunde, überlebensfähige Publikation herauszufinden: 15 Prozent Rendite. Da der Markt aber kontinuierlich kleiner wird, müssen es 20 Prozent sein. Die muss der Chefredakteur, vulgo Objektleiter jährlich einfahren. Also akquiriert er Anzeigen, erfindet Innovationspreise und Wettbewerbe, richtet Symposien und Workshops ein, veranstaltet Reisen und Events, sinnt auf Messebeteiligungen, bietet bezahlte Redaktionsseiten und Firmenfestschriften an. Möglichkeiten gibt es gottlob viele, und unanständig ist das nicht. Wie er das jedoch zeitlich und inhaltlich mit seinen journalistischen Aufgaben verbindet, ist einfach: Die lässt er bleiben, wenn ihm an seinem Arbeitsplatz gelegen ist. Falls er noch nicht völlig den Verstand verloren hat, wird er ab und an einen passablen Autor um einen weiterführenden Kommentar bitten und ihm dafür ein sittenwidrig niedriges Honorar zahlen. Wenn sich tatsächlich einmal ein Leser beschwert und wegen einer harschen Kritik mit der Kündigung des Abos droht, zählt das in dem nicht ereignisreichen Journalistenleben eines Chefredakteurs zu den Sternstunden: Wir haben etwas gebracht, einer hat's gelesen und sich tatsächlich geärgert. Wahnsinn!
Eine einzige deutsche Architekturfachzeitschrift verzeichnet noch Zuwächse. Sie bringt die größten Bilder, immer im gleichen Layout, ist klinisch kritikfrei und lässt Redaktions- und Anzeigenseiten so ähnlich aussehen, dass es den Kunden eine Freude ist. Sollen wir das als Benchmark nehmen?
Es steht übel um die deutsche Architekturfachpresse. Unsere viel gerühmten Vorfahren, die Conrads' und Peters' wären nicht mehr vermittelbar. Inzwischen sind andere Talente gefragt. Wer heute zwei, drei Jahrzehnte redaktionelle Erfahrung gesammelt hat, kommt sich vor wie ein Architekt, der ehemals Museen und Theater geplant hat und jetzt Garagen und Keller für Fertighäuser bauen muss. Sollen wir hoffen, dass einer der Konkurrenten als erster den Schirm zumacht? Dass ein mitgliedsstarker Verband sich einer bislang unabhängigen Zeitschrift annimmt, ein mäzenatischer Unternehmer, eine Bank, gar die Stiftung Baukultur? Oder heißt das Zukunftsmodell, ein Objektleiter spinnt Geschäftsideen für seinen Verlag und lässt eine Handvoll Volontäre (heute alles diplomierte Architekten und promovierte Kunsthistoriker) für eine kleine Aufwandsentschädigung sein so genanntes Stammobjekt machen? ach, das Blättle hat diese Sorgen nicht.
Wolfgang Bachmann